Junges Blut, alte Werte

Words: Kathrin Eckhardt (© Neue Zürcher Zeitung) Photos: Adrian Baer / NZZ


Das traditionsreiche Zürcher Seidenlabel En Soie von Monique Meier ist dabei, seine ästhetischen Formeln sanft zu erneuern. Angeführt wird das verjüngte Kreativteam von der Zürcherin Anna Nia.

En Soie ist eine Zürcher Institution, gegründet im vorletzten Jahrhundert. Einst belieferte die Firma unter ihrem damaligen Namen Abraham & Brauchbar die Welt der Haute Couture mit exklusiven Seidenstoffen. Seit 1979 gehört das aparte Geschäft an der Strehlgasse, das längst auch Schmuck, Keramik und Kleider verkauft, Monique Meier, der Ehefrau des Yello-Frontmanns Dieter Meier. Seit sie die künstlerische Leitung des Geschäfts übernahm, ist der Stil des Hauses praktisch derselbe geblieben. 



Dieser Stil, der, «obschon als Zeitzeichen erkennbar, kurzatmige Wechsel überdauern und Identität schaffen soll», so das Selbstverständnis von Monique Meier und En Soie, geht auch heute nicht mit dem Mainstream, der auf immer billigere Produktion und schnelleren Vertrieb setzt, sondern bleibt seinen Wurzeln treu. Möglichst viel wird selbst gemacht, hausintern und in der Familie. Die Töchter Anna und Sophie Meier arbeiten ebenfalls im Betrieb. Es existiert kein Online-Shop und auch kein Auslandvertrieb. Produziert wird in Indien und Ungarn. Ist diese Geschäftspolitik rückständig? Oder ist gerade dieses Festhalten am Immergleichen die Erfolgsformel von En Soie?


Von der Bühne ins Atelier

Ein neues, verjüngtes Designteam ist nun dabei, die Formeln, welche En Soie in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt und zu seinem Erkennungsmerkmal gemacht hat, sanft zu erneuern. Angeführt wird die Kreativtruppe von Anna Nia, gerade erst dreissig Jahre jung und Quereinsteigerin in der Modewelt. Seit neun Monaten prägt sie als Leiterin des Designteams die Entwürfe des Zürcher Traditionshauses. Und als solche hat die ausgebildete Schauspielerin, die eigentlich gar nicht hinter die Kulissen gehört, grosse Pläne: En Soie soll neben der bemalten Keramik, dem Schmuck und den bedrucken Foulards auch für höchste Qualität in Sachen Bekleidung einen Ruf bekommen. 


Nach der Schauspielschule in London wurde Anna Nia bald klar, dass sie nicht auf die Bühne gehört: Ausser damit, dass sie beim Vorsprechen errötete, hinterliess sie unter den angehenden Bühnenarbeitern keinen bleibenden Eindruck. Ein neuer Plan musste her. Der Schlüssel war bald gefunden: Schon als kleines Mädchen zeichnete Anna Nia am liebsten Kleider - und zwar so oft, dass sie Haushalt- und Toilettenpapier für ihre Entwürfe verwenden musste, weil der Papierverbrauch ihrer Mutter zu viel wurde. 


Mit jugendlicher Unbeschwertheit gründete Anna Nia im Jahr 2004 mit einer Freundin das Label Anaïs, «weil der Name so schön klang», so die Designerin. Sie nähte nächtelang in ihrem Atelier an der Hardstrasse, veranstaltete Modeshows in der ehemaligen Dachkantine und verkaufte die Kollektion in kleinen Läden. Eines Tages war abrupt Schluss: Die Freundin, von der Anna Nia einen Gutteil des Schneiderhandwerks lernte, hatte genug. Also konzentrierte sich Anna Nia auf ihren Job beim Schweizer Fernsehen, kümmerte sich um die Ausstattung von TV-Serien wie «Lüthi und Blanc» und war verantwortlich für die Kostüme in Katja Freis Theaterstücken. Die Premiere von «Narzissen», in dessen Kostüme Anna Nia viel Herzblut investiert hatte, sollte schliesslich der Schlüsselmoment zum nächsten Schritt ihrer Karriere werden: Monique Meier, die im Publikum sass, war von den Entwürfen angetan und engagierte die junge Frau.


Klassik neu interpretiert 

Und nun wirkt Anna Nia im Atelier von En Soie im Altstadthaus an der Strehlgasse, dessen Stockwerke verschachtelt ineinandergreifen. Der Platz ist begrenzt, die Tische sind voller Entwürfe, Stoffe, alter Modelle und Bilder, die als Inspirationen an einer Pinnwand hängen. Anna Nia ist mit ihren dreissig Jahren die Älteste des Designteams, zu dem überdies auch Anna Meier und Noëlle Wills gehören. Beim Entwerfen sind sich die drei jungen Frauen immer selbst die wichtigste Referenz. «Die Grundfrage lautet: Wie würden wir das Stück tragen?», sagt Anna Nia. Und so bekommt auch die etwas verstaubt wirkende Dupionseide einen neuen Dreh - Tradition trifft auf Moderne, alte Wertvorstellungen treffen auf junges Blut. 


Unter der Leitung des neuen Teams soll die Modekollektion von En Soie zwar klassisch und den Ursprüngen treu bleiben, mit verspielten Details aber neu interpretiert werden und so neue Kundinnen ansprechen. Die Stücke sollen weiterhin «ewig halten, aber nicht einfach nur Klassiker sein», wünscht sich Anna Nia. Und so hat der schlichte Blazer aus herbem Harris-Tweed nun ein weiches Seidenfutter mit Punkten. Die klassischen Seidenblusen sind dreifarbig, und auch die Pullover für Männer sind neu in ungewohnten Farbkombinationen erhältlich. Nun wird das Neue in den Laden gehängt und darauf gewartet, dass die junge Saat spriesst. 


www.ensoie.com



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