Hartes Geschäft, weiche Faktoren
24. JANUAR, 2012Text: Corinne Amacher Photos: Roth + Schmid
© ceo – Das Magazin für Entscheidungsträger 3/2011, pwc
Künzli-Schuhe werden seit jeher im aargauischen Windisch gefertigt. Und sie haben seit jeher fünf Streifen. Beides soll auch so bleiben. Inhaberin Barbara Artmann hält mit viel Herzblut an den Traditionen fest – und macht dennoch vieles neu.
Manchmal ist es völlig in Ordnung, dass Schuhe durch die Luft fliegen. Am diesjährigen Betriebsausflug von Künzli etwa, der an einem Spätsommertag nach Engelberg führte, stand Schuhboccia auf dem Programm. Zielschuh war ein roter Klassiker, die anderen Modelle mussten so nah wie möglich an ihn gesetzt werden. Für den Sieger gab es eine grosse Toblerone, alle anderen bekamen kleine. Auf der Fahrt mit dem Trottinett ins Tal beobachtete Barbara Artmann ihre 30 Künzlis und stellte fest: «Ich bin soo stolz auf euch!»
Die Inhaberin und Geschäftsführerin des Schuhherstellers Künzli weiss um den Wert solcher Unternehmungen. Für die Mitarbeitenden besteht er in Spass und Abwechslung. Für die Chefin liegt er auch noch in der Förderung des Zusammenhalts in einem Team, das von der jungen Product-Managerin bis zum altgedienten Schuster eine breite Spanne abdeckt. Zudem gibt es Gelegenheit, «den Mitarbeitenden etwas zurückzugeben». Der Anlass findet immer an einem Arbeitstag statt und ist um 17 Uhr zu Ende.
Als Barbara Artmann den Schuhhersteller im Jahr 2004 übernahm, war er 77 Jahre alt und etwas rückständig. Routine lähmte den Betrieb, der Umgang war von einem Zweiklassendenken zwischen Büro und Fabrik geprägt. Als diplomierte Psychologin und Betriebswirtschafterin analysierte sie, dass zwischen Leisten und Leder ein über Generationen gewachsenes Know-how schlummerte, auf dem sich aufbauen liess. Ein knappes Jahr wartete sie ab, dann forderte sie alle Mitarbeitenden auf, sich zu duzen. «Heute weiss jeder über alle wichtigen Belange des Unternehmens Bescheid und wird bei wichtigen Entscheiden dazu gefragt», sagt Barbara Artmann, die gegen aussen allerdings keine Kennzahlen bekanntgibt.
Ohne Personalabbau ging es zu Beginn nicht, aber im aargauischen Windisch waren letztendlich alle froh, dass der Betrieb überhaupt überlebte. Die starke Frau bei Künzli setzte auf eine klare Nischen- und Qualitätsstrategie. Sie hielt aus Überzeugung am Produktionsstandort und damit am Label «Swiss made» fest. In einer Zeit, in der Schuhhersteller reihum ihre Produktion nach Asien verlagern, wirkt die Fabrik in Windisch wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.
In dem Gebäude mit dem abgetretenen Linoleumboden und den vergilbten Wänden
werden mit hohem handwerklichem Aufwand Schuhe in bester Qualität hergestellt,
die von trendbewussten Menschen in den Metropolen getragen werden. «Es war die
Herausforderung, eine Nische zu finden und das Produkt so wertig zu machen,
dass es die Schweizer Produktion trägt», sagt Barbara Artmann. Zwei Jahre habe
es gedauert, bis sie gesehen habe, dass das Konzept funktioniere.
Tradition mit Zeitgeist verbinden
Die Werte, die es in die Zukunft zu führen galt, waren: lange Tradition, viel Know-how, starke Marke. Markenbotschafter etwa, die Heilsbringer des modernen Marketings, gab es bei Künzli bereits anno 1934. Damals pries der legendäre Eishockeyspieler Bibi Torriani Künzli als besten Eislaufschuh der Welt. Heute ist Schwinger Kilian Wenger Testimonial.
Die Tatsache, dass der König von Branchengrössen wie Adidas umworben wurde, hinderte Barbara Artmann nicht daran, mit ihm in Kontakt zu treten. Künzli, schrieb sie ihm, würde ihm gerne Schuhe zur Verfügung stellen und sogar eigens für ihn einen Schuh entwickeln – nur zahlen könne man ihm leider nichts. Der König wählte für seine Wettkämpfe Künzli.
Schwingen steht mit seiner rapid steigenden Popularität wie keine andere Sportart für die Verbindung von Tradition und Zeitgeist – jene Kombination, die Barbara Artmann für ihren Betrieb als matchentscheidend erachtet. Jeder Schuh verfügt über die patentierte Schnürung mit den fünf Streifen – egal, ob es sich um Therapieschuhe handelt oder um die trendigen Sneakers.
Seit den 80er Jahren wird das Unternehmen primär mit Gesundheitsschuhen in Verbindung gebracht. Barbara Artmann erachtet das Standbein als gut und wichtig für die Firma und leistet Überzeugungsarbeit bei Versicherern und Ärzten, dass das Tragen eines Therapieschuhs je nach Verletzung deutlich günstiger ist als eine Gipsbehandlung. Aber sie möchte nicht, dass Künzli nur durch den Medizinbereich wahrgenommen wird. Darum hat sie dem Sportschuh, mit dem 1927 alles angefangen hatte und mit dem Künzli bis in die 70er Jahre prosperierte, zu einem modisch umgewandelten Comeback verholfen.
Die Sneakers-Linie mit ihren zwei farbenfrohen Kollektionen pro Jahr stösst vor allem bei einer urbanen Kundschaft auf steigende Nachfrage. Diese Sparte wächst stärker als die der Therapieschuhe. Angesichts der Preislage – ein Paar kostet ab 300 CHF – ist Qualität oberstes Gebot. «Das Leder ist das Kronjuwel der Schuhe», heisst es bei Künzli. Verarbeitet werden nur schweizerische und europäische Rinds-, Büffel- oder Kalbsleder. Die Chefin prägt auch das Design der Kollektionen mit der Farb- und Musterwahl massgeblich mit.
Potenzial ortet sie vor allem beim eigenen Geschlecht. Mit Ballerinas oder pelzbesetzten Modellen wurden die ersten Weichen gestellt, die Auswahl soll erweitert werden. «Männer sind in der Schweiz mit Künzli aufgewachsen. Aber es gibt viele Frauen, die gar nicht wissen, dass wir feminine Schuhe machen», sagt Barbara Artmann.
Immerhin gäbe
dieses Kundensegment deutlich mehr für Schuhe aus als Männer. Neue Kundinnen
sollen unter anderem an der Trendmeile Viadukt in Zürich West gewonnen werden,
wo Künzli im vergangenen Frühling einen Flagshipstore eröffnet hat. Daneben ist
das Label in der Schweiz bei etwa 40 Wiederverkäufern präsent.
Exportgeschäft abgebrochen Doch es gab auch schwere Rückschläge zu verkraften: Das Exportgeschäft der Sneakers nach Deutschland musste abgebrochen werden, seit Künzli infolge eines erstinstanzlichen Gerichtsurteils in Deutschland mit einem Verkaufsverbot für die Modelinie belegt worden ist. Die amerikanische Firma K-Swiss, einst aus dem Export in die USA entstanden, macht Künzli im wichtigsten Exportmarkt die Markenrechte streitig.
Im Frühjahr 2011 ist Künzli vor der ersten Instanz gegen K-Swiss unterlegen und musste genau zu der Zeit, als sich das Label zu etablieren begann, alle Sneakers aus dem Verkauf zurückziehen. Mit einem neuen Rechtsanwalt ist Barbara Artmann in die Berufung gegangen. Bis ein rechtskräftiger Entscheid vorliegt, wird es wohl Monate dauern. Seit nicht mehr nach Deutschland exportiert werden kann, ist Künzli im Modebereich vollumfänglich auf den Heimmarkt angewiesen.
Die weitere Entwicklung des Unternehmens hängt aber nicht nur vom Ausgang des Verfahrens ab. Der Export der Medizinlinie ist unberührt und wächst beständig. Seit ihrem Einstieg vor sieben Jahren habe sich die Produktion verdoppelt, sagt Barbara Artmann, ohne Zahlen zu nennen, und langfristig strebe sie eine weitere Verdopplung an. Manchmal erlaubt sie sich ein schönes Gedankenspiel und zündet sich dazu eine Zigarette an. Sie stellt sich eine moderne und luftige Fabrikhalle mit kreisförmig angeordneter Produktion vor, in der sie mit ihren Künzlis Schuhe herstellt. Der neue Betrieb läge natürlich auch in oder in der Nähe von Windisch – laut Artmann, die viel auf ihre bayrische Herkunft gibt, einfach «drei Wiesn weiter».
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Künzli Swiss Schuh AG, 1927 in Windisch gegründet, steht auf zwei Beinen:
Die orthopädischen Schuhe – zum Beispiel für den Einsatz nach einem Bänderriss
oder Knöchelbruch – tragen zwei Drittel zum Umsatz bei. Der Rest entfällt auf
das Segment der modischen Sneakers, das aus der angestammten Kreation von
Sportschuhen herausgewachsen ist. Das Unternehmen beschäftigt rund 30
Mitarbeitende. Verkaufszahlen werden keine bekanntgegeben.
Barbara Artmann,
gebürtige Münchnerin, ist seit Ende 2004 Inhaberin und Geschäftsführerin des
Schuhhersteller Künzli in Windisch. Sie hatte Betriebswirtschaft und
Psychologie studiert und machte danach im Marketing von Procter & Gamble,
im Verlagsgeschäft und als Beraterin bei McKinsey Karriere. 1996 kam sie in die
Schweiz, wo sie bei Zurich Financial Services und bei der UBS arbeitete. Dann
suchte sie die nächste Herausforderung als selbstständige Unternehmerin. Im
Januar 2010 erhielt Barbara Artmann (50) den Swiss Award 2009 in der Kategorie
Wirtschaft.